Olympionikin Sonny Jung erklärt die Faszination des Taekwondo und warum ein Olympiakampf nicht aufregender ist als die Kreismeisterschaft

Erst kommt die respektvolle Verbeugung, dann ein kraftvoller Tritt der das Schlagpolster mit Wucht in die die Magengegend befördert. So zumindest sieht eine Trainingseinheit aus, in der die Olympionikin Sonny Jung Taekwondo-Bewegungsabläufe demonstriert „Nur Basis-Übungen aus der Grundschule wären ja langweilig“, sagt sie lachend.

Geduldig erklärt Jung verschiedene Angriffstechniken, ohne zu stark in Fachtermini zu verfallen. Einen Treffer mit dem Spann des Fußes betitelt sie als „Lausbubentritt, den man von Schulhofprügeleien kennt“. Immer wieder schwärmt sie von der sinnvoll genutzten Biomechanik des Körpers und des dadurch entstehenden Ganzkörpertrainings, das für alle Altersklassen zu empfehlen sei. Schnell wird die Euphorie deutlich, die Jung auch heute noch für Taekwondo empfindet. Dabei war der Kampfsport eigentlich nicht Ihre erste Wahl: Ursprünglich wollte Jung, inspiriert von der Rumänin Nadia Comaneci Turnerin werden.

Erst mit zwölf, nachdem ihre Turnriege auseinander gebrochen war, trat sie dem Verein Chung-Gun Hammersbach bei, dem sie bis heute die Treue hält. Besonders fasziniert war sie von Beginn an von der Fairness und der, wie sie es nennt, Ehrlichkeit der Kampfsportart: „Es sind nicht die Sportgeräte oder technischen Utensilien, die den Unterschied ausmachen, sondern nur das, was man selbst zu leisten imstande ist“.

Der damalige Trainer Manfred Baus nahm sie unter seine Fittiche und erkannte früh ihr Talent. Dank diverser Sondertrainingseinheiten und einem Dauerzugang zum Sportraum konnte Jung konstant an ihren Fähigkeiten arbeiten. „Als ich mit 14 meine erste Hessenmeisterschaft absolviert hatte, kam Manfred auf mich zu und meinte: ‚Sonny, in sechs Jahren wird Taekwondo bei den olympischen Spielen in der Vorführdisziplin dabei sein. Wenn du am Ball bleibst, fährst du mit‘.“

Jung hielt das zunächst für einen schlechten Scherz. Trotzdem sollte sich die Vorhersage des Trainers als richtig erweisen. Dank der Teilnahme an Weltmeisterschaften und diversen Turnieren auf Weltklasseniveau qualifizierte sich die Hammersbacherin für die Olympischen Spiele 1988 in Seoul. Eine Erfahrung, die sie wohl niemals vergessen wird: „Es war eine Art Leben in einer schönen neuen Welt.“ Damit bezieht sich Jung jedoch nicht auf die Medaillenübergabe oder die auf sie gerichteten Fernsehkameras. Viel stärker ist ihr die Zeit im olympischen Dorf im Gedächtnis geblieben. Sämtliche Sportler waren  in einem extra für die Sportveranstaltung angelegten Areal untergebracht, das später zu einem neuen Stadtteil wurde. Die Mischung aus bekannten und unbekannten Gesichtern war für Jung ein völlig neues Erlebnis: Man sitzt da In der Mensa mit Stern Graf und Ben Johnson und fragt sich – soll ich jetzt rübergehen und mir ein Autogramm holen?“

Besonderen Eindruck hatte auf sie die Möglichkeit hinterlassen, sämtliche Disziplinen und das zugehörige Training kennen zulernen. Gerade Gespräche mit Olympioniken aus aller Welt machten für Jung den besonderen Reiz der Veranstaltung aus, den sie so nur in Seoul kennengelernt hatte: „Die Pierre-de-Coubertin-Idee der Olympischen Spiele, nämlich ,Jugend der Welt, trefft euch‘, war dort tatsächlich spürbar“ Aufgrund der Aufteilung in verschiedene Teildörfer sei diese Besonderheit bei den Sommerspielen 1992 In Barcelona verloren gegangen. Medial betrat Jung Neuland. Bis dato hatte Taekwondo eher wenig Aufmerksamkeit seitens der Presse erhalten. Das sollte sich vor allem aufgrund des zeitlichen Ablaufs der Wettkämpfe ändern: „Die olympischen Spiele gingen los und alle warteten gebannt auf die erste Medaille. Meine Bronzemedaille war dann tatsächlich die erste für Deutschland.“ Es folgten Fernsehinterviews, Hintergrundberichte und ein großer Empfang am heimischen Flughafen. „Dieser Erfolg war damals sehr wichtig für die Sportart“, so Jung.

Trotz der internationalen Bühne und dem größeren Publikum habe sich der Wettkampf selbst für Jung jedoch nicht anders angefühlt: „Egal ob Kreismeisterschaften, Weltmeisterschalten oder Olympische Spiele -während des Kampfs ist man hoch fokussiert. Das Drumherum darf keinen Unterschied ausmachen.“ Ab dem Betreten der Arena zähle ausschließlich der Kampf.

Aufgrund des Status als Vorführdisziplin blieb Jung eine große sportliche Ehre verwehrt: der Einzug bei der Eröffnungszeremonie. Selbst das Zuschauen erwies sich als schwierig. „Es war schon eine Überraschung, dass wir im olympischen Dorf untergebracht waren. Um Karten für die Eröffnung hätten wir uns selbst kümmern müssen, das Stadion war aber schon seit Monaten ausverkauft“, erinnert sich die Sportlerin. Nur dank der Initiative des deutschen Botschafters in Südkorea erhielten die Taekwondoka am Ende Karten und konnten die Zeremonie zumindest von der Tribüne aus verfolgen. Diese Erinnerung hatte sie auch kurzzeitig dazu gebracht, ihr Karriereende zu überdenken. 1998 verabschiedete sich die Taekwondo-Kämpferin aus dem Profisport, bei den Sommerspielen 2000 in Sydney war Taekwondo jedoch erstmals eine olympische Disziplin. „Die Option, mit der Fahne in der Hand ins Stadion einzuziehen, hatte schon einen großen Reiz“, gesteht Jung. Die Belastungen, die sich durch zwei weitere Jahre intensives Training ergeben hätten, seien allerdings zu groß gewesen. „Nach elf Jahren Nationalmannschaft und Weltspitze war es Zeit zu gehen“, resümiert sie.

Sportlich hat sich Jung umorientiert. 2005 entdeckte sie eine neue Passion für sich: das Fallschirmspringen. Besonders das sogenannte Freestyle-Springen, bei dem möglichst viele verschiedene Figuren und Drehungen vollführt werden sollen, ist für Jung reizvoll. 2006 nahm die Diplom-Sportlehrerin zudem ein Medizinstudium auf und strebt Inzwischen den Fachbereich Unfallchirurgie an.

„Es sind nicht die Sportgeräte oder technischen Utensilien, die den Unterschied ausmachen, sondern nur das, was man selbst zu leisten imstande ist.“

Aufgrund dieser beruflichen Situation und der neuen sportlichen Orientierung hat Jung das Taekwondo ein wenig aus den Augen verloren. Gerade den Profibereich konnte sie nur mäßig verfolgen. Für die kommenden Olympischen Spiele hat sie daher auch keinen Tipp parat „Ich weiß, dass die ehemals erfolgreichen Nationen immer noch vorne mit dabei sind. Aber einen klaren Favoriten habe ich nicht, dazu ist die Weltspitze sportlich zu nahe zusammengerückt.“

Zu den deutschen Medaillenkandidaten gehört Levent Tuncat. Er startet in der Gewichtsklasse bis 58 Kilogramm. Wegen einer Verletzung wird die Olympia-Dritte Helena Fromm auf eine Teilnahme an den Spielen in Rio verzichten. „Rio de Janeiro kommt für mich nicht in Frage“, sagte die Bronzemedaillen-Gewinnerin von London 2012 Ende Februar am Rande der deutschen Meisterschaften in Gummersbach.

Taekwondo möchte sie in Zukunft wieder stärker in ihren Alltag integrieren – nicht nur als Sportlerin: „Ich könnte mir gut vorstellen, irgendwann mal einen Taekwondo-Kurs für Senioren anzubieten. Dadurch könnte ich meine Sportlehrer Ausbildung optimal zur medizinischen Bewegungstherapie einsetzten.“

Quelle: Sebastian Zeh (HA) „Die Biomechanik und der Lausbubentritt“, Hanauer Anzeiger vom Donnerstag, 28 April 2016, S. 16

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